Das Kreuz mit der Einwilligungsfähigkeit

Ein alltäglicher Vorgang im Alltag eines Betreuers:

Das Telefon klingelt. Der Betreuer meldet sich.

Anrufer: Hier ist Dr. Soundso. Herr XY ist gerade in unser Krankenhaus eingeliefert worden. Der ist doch Ihr Betreuter?

Betreuer: Ja.

Arzt: Herr XY muss operiert werden. Können Sie gleich mal vorbeikommen und den Aufklärungsbogen und die Einwilligung in die Behandlung unterschreiben?

Betreuer: Ist Herr XY momentan nicht einwilligungsfähig?

Arzt: Doch. Schon.

Betreuer: Ja dann. Was soll ich dann?

Arzt: Ja, wozu sind Sie denn Betreuer?

***

Also: Wozu bin ich Betreuer? Ganz sicher nicht (denn dies ist mir vom Gesetz so aufgetragen), um meinen Klienten Dinge abzunehmen, die sie selber erledigen können. Und wenn jemand selber in eine ärztliche Maßnahme einwilligen kann, warum soll das dann jemand anderer für ihn tun?

Ich bin in diesem Fall Betreuer, um die Rechte des Betroffenen gegenüber den Ärzten zu vertreten. Zum Beispiel das Recht, selbst entscheiden zu können, was mit dem eigenen Körper geschieht.

Wann ist aber jemand einwilligungsfähig? – Da gibt es klare Kriterien. Wenn jemand

– versteht, woran er erkrankt ist,

– versteht, welche Behandlung der Arzt für ihn vorschlägt,

– die Konsequenzen begreift, falls er sich nicht behandeln lässt,

– die möglichen Risiken und Chancen der Behandlung begreift

– und das alles gegeneinander abwägen kann,

dann ist er (oder sie) einwilligungsfähig.

Kleines Beispiel aus der Praxis: Bei Bernd, einem jungen Mann in einer Einrichtung für geistig Behinderte, wird ein Gehirntumor diagnostiziert. Er soll am Gehirn operiert werden. Ich spreche mit ihm.

Betreuer: Weißt du, was dir fehlt? (Wir sind aus persönlichen Gründen per du.)

Bernd: Ja. Ich hab was im Gehirn.

Betreuer: Weißt du, was da passiert, wenn man nichts macht?

Bernd: Ja. Ich werde … (lange Pause) … ich muss dann sterben.

Betreuer: Und was soll da jetzt gemacht werden?

Bernd: Die schneiden meinen Kopf auf und holen das raus. Ich hab Angst.

Betreuer: Hat dir der Arzt gesagt, warum das gemacht werden soll und was dabei vielleicht auch geschehen kann?

Bernd: Weil ich dann wieder ganz gesund bin. Außer die schneiden was Falsches ab. Dann bin ich nicht mehr gesund.

Betreuer: Und? Willst du die Operation?

Bernd: Ich hab Angst. Aber ich will doch weiter leben. Ich will operiert werden.

Soweit die Kurzfassung des Gesprächs. Ganz klar: Bernd war einwilligungsfähig. Er konnte zwar nicht bis hundert zählen, aber was da mit ihm los war und mit ihm geschehen sollte, das hatte er begriffen.

Ein paar Wochen später folgte dann die OP. Tags zuvor war ich beim Aufnahme- und Aufklärungsgespräch dabei. Der Arzt erklärte noch einmal ausführlich und detailliert, was aufgeschnitten werden sollte, welche Teile der Schädelplatte herausgenommen werden würden und was dabei alles schiefgehen konnte. Am Ende fragte ich Bernd: „Hast du alles verstanden?“ Bernd saß verkrampft da, schüttelte den Kopf und flüsterte: „Ich hab Angst.“

Also war er in dem Moment nicht einwilligungsfähig. Ich unterschrieb für ihn. Wir gingen weiter zum Narkose-Aufklärungsgespräch. Der Anästhesist erklärte auch hier alles ausführlich. Ich fragte Bernd wieder: „Hast du das verstanden?“ Bernd, wesentlich entspannter als eine halbe Stunde davor, sagte: „Ja.“ Er unterschrieb, denn jetzt war er einwilligungsfähig.

Was ich damit allen Ärzten (und Angehörigen, Mitarbeitern von Behinderten-einrichtungen und Betreuern) sagen will: Die Einwilligungsfähigkeit ist oft vom Augenblick abhängig, nicht von der Behinderung des Betroffenen und schon gar nicht, nie und nimmer, nur vom Bestehen einer Betreuung. Und um diese Frage abzuklären, hilft nur das persönliche Gespräch, und zwar direkt mit dem Betroffenen. Tut mir leid, liebe Ärzte.

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