Welche Beziehung haben Betreuer und Betreute zueinander? Diese Beziehung wird vom Gesetz vorgegeben. Das besagt, dass der Betreuer der rechtliche Vertreter des Betreuten ist. Daraus folgt, dass der Betreuer kein Therapeut, kein Erzieher, kein Seelsorger, kein ziemlich bester Freund ist. Die Beziehung zwischen Betreutem und Betreuer ist erst einmal eine geschäftliche Beziehung.
Erst einmal. Dabei bleibt es aber nicht. Denn das Gesetz besagt auch, dass der Betreuer dem Wohl und dem Willen des Betreuten Geltung verschaffen muss. Um gemäß dem Willen seines Klienten handeln zu können, muss der Betreuer diesen Willen kennen. Und um diesen Willen kennenzulernen, muss der Betreuer mit dem Klienten reden und (mehr noch) ihm zuhören und folglich eine persönliche Beziehung zu ihm aufbauen. Dies muss und soll dann keine freundschaftliche Beziehung sein. Der Betreuer muss einfach den Menschen hinter dem Fall kennenlernen und ihm mit Respekt begegnen.
Als Betreuer hat man es mit der ganzen Bandbreite des Lebens zu tun. Das gilt auch für die Art der Beziehung zwischen dem Betreuer und seinen Klienten. Für viele bin ich einfach nur ein Geschäftspartner, der Manager, der ihr Leben organisiert. Für manche bin ich der einzige Mensch, mit dem sie näheren Kontakt haben. Dementsprechend klammern sie sich an mich. Für ein paar bin ich ein Störfaktor, der sie ständig an die unangenehmen Seiten des Lebens erinnert, z.B. an unbezahlte Rechnungen. Mit einigen wenigen, für die ich schon lange arbeite, bin ich zu einer Art Freund geworden.
Zwei Beispiele, die diese ganze Bandbreite aufzeigen: Meine dienstälteste Klientin ist Hanni. Sie bekam mich zum 18. Geburtstag geschenkt. Das ist jetzt 16 Jahre her. Wir sind per Du, im Lauf der Jahre wurde ich für sie der Vater, den sie nie hatte, und sie für mich wie eine Tochter. Hanni ist geistig behindert und vom Borderline-Syndrom geplagt. Aus diesem Grund wollte sie letztes Jahr in eine andere Einrichtung, weit entfernt. Als ich sagte, dass ich dann nicht mehr Betreuer für sie sein könne, machte sie einen Rückzieher. Es war ihr wichtiger, bei mir zu bleiben.
Ein paar Jahre war ich Betreuer für Frau Wegmann. Eine alte Dame, die ich als Altersheim-Zimmergenossin einer anderen Klientin kennengelernt hatte. Sie war das, was man in unserer Gegend als „Bissgurke“ bezeichnet. Alle Menschen waren dumm und/oder böse, der einzige Fels der Vernunft in diesem Meer der Idiotie war Frau Wegmann – sagte Frau Wegmann. Es war ihr einziges Gesprächsthema, auch wenn ich gar nicht mit ihr redete. Ihr zu widersprechen war schwierig, denn sie war schwerhörig. Irgendwann wurde ich Betreuer für die gute Frau. Sie schaffte es mit ihrer Art, die dunkle Seite in mir zu erwecken. Nach fünf Minuten mit ihr hatte ich immer das dringende Bedürfnis, sie aus dem Fenster zu werfen. Ich hab’s nie getan. Dafür habe ich einen Antrag gestellt, mich aus dieser Betreuung wieder zu entlassen. Sie bekam dann einen Betreuer, der seine dunkle Seite offensichtlich woanders hatte, der sie ertragen konnte.
Zwei Extrem-Beispiele. Und dazwischen gibt es alles, was das Leben so hergibt.