Eine schöne Beerdigung

Heute war ich auf der Beerdigung einer langjährigen Klientin. Wenn einer „meiner Leute“ stirbt, gehe ich immer auf die Beerdigung – wenn man mich lässt. Das gebietet der Respekt und die Verbundenheit mit diesem Menschen. Aber eigentlich mache ich das nicht gerne. Denn als beruflicher Betreuer bekommt man ja nur die Fälle, in denen Angehörige aus welchem Grund auch immer die Betreuung nicht übernehmen können. Einer dieser möglichen Gründe ist, dass sich Angehörige und Betreuter nicht vertragen. Das führt dann nach dem Ableben des Betreuten zu Beerdigungen, die in einer Mischung aus Verlegenheit und Verlogenheit ablaufen.

Diese Beerdigung drohte auch so zu werden. Die Verstorbene war manisch-depressiv, die einzige Tochter litt seit ihrer Geburt unter der Krankheit ihrer Mutter. Das führte zu einem entsprechend gestörten Verhältnis.

Doch dann geschah es. Nach der Predigt des Pfarrers trat der Schwiegersohn der verstorbenen Klientin ans Mikrofon und erzählte: Über das Leben mit einer psychisch kranken (Schwieger)Mutter, wie diese Erkrankung das Leben aller beeinflusste; über die schönen Jahre, in denen die Krankheit eine Pause machte, über „die Hölle“, als die Erkrankung mit voller Wucht zurückkehrte; wie es ist, wenn man am Morgen nicht weiß, wie sich die eigene Mutter an diesem Tag verhalten wird; wie es sich lebt, wenn man den Kontakt mit der Mutter nicht mehr verkraftet.

Der Schwiegersohn erzählte das ohne Beschönigung, aber auch ohne Vorwürfe; mit vielen Tränen, aber ganz sachlich. So wurde diese Beerdigung ein versöhnendes, friedvolles Ereignis. Auch so kann man knapp fünf Jahrzehnte Kampf und Auseinandersetzung mit einem Menschen abschließen. Und danach endlich ein gutes, ungetrübtes Verhältnis zu ihm finden – und damit Frieden mit sich selbst machen.

Schade dass meine Klientin erst sterben musste, dass es so weit kommt. Aber diese Krankheit lässt wohl nichts anderes zu.

2 Antworten zu “Eine schöne Beerdigung

  1. Stephanie Kistner

    Habe gerade Ihre Webseite gelesen und bin sehr angetan von Ihren Erzählungen, bzw. Informationen und Eindrücken!
    Zu der „Beerdigungsgeschichte“ möchte ich noch sagen, dass ich es ganz mutig und gehaltvoll finde, wenn ein Schwiegersohn sich so offen und ehrlich zu einer Schicksalsituation an einer so „heiklen“ Stelle wie eine Beerdigung frei äußert- gerade heute, wo der familiäre Zusammenhalt auf Grund der fortschreitenden Individualisierung auseinanderbricht!
    Nur mit sozialem Interesse und Engagement, gepaart mit Überlegungen der geistigen Zusammenhänge in Lebenssituationen kann der Einzelnen heute sein Leben sinnvoll gestalten!
    Dazu braucht man ganz notwendig den Anderen- nur durch Offenheit und Gespräche kann die Brücke zwischen den Menschen entstehen- des anderen Erfahrungen sind meine Schulungen!!
    Möchte eine Ausbildung als Betreuungsassistentin beginnen und deshalb kam ich auf Ihre Webseite!
    Wohne auch seit zwei Jahren in Buchloe!
    Schön, dass es hier so eine Anlaufstelle gibt!
    Liebe Grüße

    Stephanie Kistner

  2. Kümmert sich ein Betreuer intensiv um einen Klienten,wenn der Klient niemand anderen hat ?
    Wenn ein Klient z.B im Krankenhaus liegt. In wie weit kümmert sich der Betreuer,um den Klienten?

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